Segovia mi amor



Die Stadt gibt keine Konzerte und heißt doch wie der berühmte Gitarrist. Sie spielt in Spanien in der höchsten Liga und ist dennoch kein Fussballclub.
8. 2010
 

Viele assoziieren mit dem Namen Segovia eher den spanischen Ausnahmegitarristen als jene bezaubernde Kleinstadt in der Hochebene von Kastilien-Leon, die den gleichen Namen trägt. Es mag sein, dass Segovia hierzulande weniger bekannt ist, weil Städtetouristen, die Madrid als Hauptziel gewählt haben, in Tagesausflügen die bekannteren Ziele El Escorial, den Palacio Real von Aranjuez oder Toledo besuchen.

Die heute 56.000 Einwohner zählende Stadt, die schon den Römern als wichtiger Stützpunkt im Westen des Weltreiches diente, kann mit dem spanischen Hochgeschwindigkeitszug AVE von Madrid aus in einer halben Stunde erreicht werden. Der digitale Tachometer auf dem Bildschirm des Waggons zeigt in einem der Tunnel auf der Strecke das beachtliche Tempo von 290 km/h an. Die Bewegung erfolgt so unmerklich, dass man das Gefühl hat, in einem Bahnhof zu stehen.

Das Empfangsspalier beim Betreten der Altstadt von Segovia besteht in einer riesigen, von Arkaden durchbrochenen Mauer, die keilförmig zum Felshügel, auf dem die Stadt steht, anwächst. Er handelt sich um ein einzigartiges römisches Aquädukt, von dem die Legende sagt, der Teufel habe es für ein Mädchen errichtet, das seine Seele an Ihn verkauft habe, um nicht Wasser schleppen zu müssen. In Wahrheit ist dieses bedeutende Monument nicht weniger Zeugnis menschlichen Fortschritts als das hochmoderne Schienenfahrzeug, das uns hierher transportiert hat.

Über die Calle de Juan Bravo (Calle Real) gelangt man - viele Lokale und Geschäfte, magische kleine Plätze und einige schöne Kirchen passierend - immer leicht aufwärts schlendert auf die Plaza Mayor (den Hauptplatz). An dessen West-Ende erhebt sich die mächtige gotische Kathedrale, welche rasch die gesamte Aufmerksamkeit auf sich zieht. Vor allem bei Dunkelheit dominiert das sakrale Bauwerk durch seine flächige Beleuchtung den Platz.

Gegenüber der Kathedrale – am anderen Ende des Hauptplatzes sind empfehlenswerte Lokale zu finden. So z. B das Meson Jose Maria. Den dicht gedrängten Gästen wird dort durch vielerlei kalte und warme Aperitivos (Tapas) die Wartezeit auf einen Tisch angenehm verkürzt. Im wieder bahnt sich einer der erstklassigen männlichen Camareros – wie die Kellner in Spanien heißen – mit hochgestemmtem Tablett geschickt einen Weg durch die Lokalbesucher. Serviert wird die Spezialität der Region und des Hauses: das Cochinillo, Spanferkel nach Art Segovias.

Die Lage der Stadt auf einem Felshügel lädt zu einer empfehlenswerten Rundwanderung um den historischen Kern ein. Dabei kann das dritte herausragende Bauwerk – nämlich das maurische Alcazar von unterschiedlichsten Blickwinkeln in Augenschein genommen werden. Dazu steigt man zunächst nördlich Richtung Paseo de Santo Domingo de Guzman ins Tal ab und hält sich westwerts. Bald macht sich die zwölfeckige Iglesia de la Vera Cruz bemerkbar. Sie wurde von Tempelrittern nach dem Vorbild der Jerusalemer Grabeskirche erbaut. Obwohl auf dem der Stadt gegenüberliegenden Hügel etwas abseits gelegen, lohnt sich ein Abstecher dorthin. Von hier aus hat man einen ersten überwältigenden Blick auf das gesamte Alcazar, dem noch viele weitere folgen sollten.

Die kleine Wanderung rund um Segovia, für die man etwa zweieinhalb Stunden einberechnen sollte, führt dann westwärts wieder ins Tal. Am westlichsten Punkt geleitet ein kleines Steinbrückchen über den Rio Clamores. Von hier aus ist das Alcazar nur bruchstückhaft zu sehen. Der etwas mühsame Anstieg auf die südlich des Stadthügels gelegene Anhöhe wird aber bald mit spektakulären Ansichten des Alcazars belohnt, unter anderem mit jener Perspektive, die Walt Disney als Inspiration für sein Disneyland Dornröschenschloss gedient haben soll.

Möglicherweise ist für den touristischen Normalverbraucher der Rundweg zu anstrengend oder in den diversen Reiseführern auch einfach nicht beworben. Für die Wenigen, die sich doch hierherverirren hat das gewisse Vorteile. Auf dem „einsamen“ Weg hat man die Möglichkeit, zur Stadt beinahe eine intime Beziehung aufzubauen. Spätestens hier wird die Liebe zu Segovia entfacht. Die wenigen Jogger, die den unruhigen Schotterweg zur Ertüchtigung nutzen, nimmt man kaum wahr; man hat nur noch Augen für die Geliebte.

Aus dem Tal herauf lächeln paradiesische Obst- und Gemüsegärten. Dort unten irgendwo muss sich auch der Garten des rüstigen Seniorchefs des Hostal Juan Bravo befinden. In der Gartenarbeit (Horticultura) habe er seinen Jungbrunnen gefunden, erzählt er am Abend der Rundwanderung. Im langsamen Weiterschlendern säumt ein sanft geschwungenes Sonnenblumenfeld den Weg. Das Alcazar aber zeigt sich zunehmend wieder in seiner vollen Dimension. Langsam mischt sich auch die Stadt - gekrönt vom mächtigen Hauptturm der Kathedrale in den Blick und wird sukzessive raumgreifend. 

Gegen Ende des Weges kommt man zu einer Stelle, wo Segovia einwenig jenem berühmten Gemälde vom Turmbau zu Babel ähnelt, das Pieter Bruegel der Ältere geschaffen hat. Von hier aus zeigt sich der mittelalterliche Charakter der Stadt am Deutlichsten. Vor dem Abstieg in die östliche Altstadt setzt sich nochmals das Aquädukt in Szene. Ihm hat Segovia unter anderem zu verdanken, Weltkulturerbestätte zu sein. Vielleicht hat sich ja auch das zuständige Unesco-Kommitee auf diesem Rundweg um den historischen Kern in die Stadt verliebt, wer weiß.