Eine kleine Fischgeschichte

Alles war auf die große Sünde angelegt, diese Reise wurde vorsätzlich unternommen.
9. 2017
 

Es war nicht in Kauf genommener Totschlag, nein es war vorsätzlich geplantes Töten, um  nicht zu sagen Morden, wenn man hier menschliche Terminologie verwenden will, auch wenn dieses schmutzige Geschäft andere für uns übernommen hatten, als sie ihre auf den Haken aufgespießten Würmer ins Wasser ließen, ihre fatalen Netze auswarfen und unerbittlichen Harpunen abfeuerten und damit das Meer rot umfärbten. Darauf war das Ziel unserer Reise angelegt. Fischbestände sollten rücksichtslos unserer Genusssucht geopfert werden. Diesmal wollten wir unser Gewissen nicht nur nicht beruhigen, wir wollten es geradezu verleugnen. Ganz bewusst wurde in die volle kulinarische Sündenkiste gegriffen.

 

Präludium in der Hauptstadt

Das Vorspiel (Entrada) zu diesem 10tägigen Genussexzess fand bereits beim mehrstündigen Zwischenaufenthalt in Madrid statt. Das Barrio „La Latina“ ist nicht nur wegen seines noch weitgehend mittelalterlichen Antlitzes bekannt, sondern mehr noch ob seiner zahlreichen Tapasbars. In diesem Viertel hat der Hunger nur eine kurze Halbwertszeit, weil fast jedes Lokal ein Glücksgriff zu sein scheint. Große Erwartungen erweckte das „La Antonita“ in der Cava Baja nicht gerade, doch hier wird man schnell eines Besseren belehrt: z. B. mit einem bunten Potpourri verschiedenster geschälter Tomaten, die mit einer eleganten Marinade serviert werden, die den natürlichen Geschmack des Gemüses nicht nur nicht abtötet sondern geradezu zur Geltung bringt; oder die pikanten Tortillas, die irgendwo zwischen Kuchen, Kartoffelpuffer und Chips oszillieren. Selten macht man einen Fehler, wenn man die lokale Spezialität versucht, auch wenn es sich wie im Falle der Callos Madrilenos (Kutteln auf Madrider Art) wohl eher um ein Gericht für den fortgeschrittenen Gaumen handelt.

 

Sorpresa cerveza

Die Vorfreude auf das eigentliche Ziel der Schlemmerfahrt wurde in der spanischen Metrolpole mit dem ersten kulinarischen Erlebnis jedenfalls kräftig genährt. Doch es sollte erst richtig losgehen. Nacht eins in Cadiz begann um Mitternacht mit dem Bezug der Unterkunft und der ersten großen Überraschung für jene aus unserer Gruppe, die mit der iberischen Getränkekarte noch nicht so vertraut waren. Wahrscheinlich ganz Spanien, sicher Andalusien, in jedem Fall aber Cadiz ist nicht nur das Eldorado für Sherry-FetischistInnen sondern auch ein Paradies für BiertrinkerInnen. Dies kann am Gebräu liegen, am Glas (Caña), an der Biertemperatur, an der Kohlensäure, an der Luftfeuchtigkeit, an der Sonne, am Flamenco, weiß der Teufel woran, Bier ist jedenfalls das Getränk, das dort immer funktioniert, bei Tag und bei Nacht.

 

"Canossagang"

Jede Reise hat eine Vorgeschichte, manche beginnt mit dem Durchblättern der Kataloge von Reiseveranstaltern, andere erhalten durch Schilderungen ihre Initialzündung, wieder andere werden  –  wie in diesem Fall – aus der Sehnsucht nach einer Rückkehr geboren. Wenn man im zentralen Mercado von Cadiz als Fischliebhaber mit Ambition, sich auch selbst an den Herd zu stellen, die Reihen der frischen Kaisergranaten, Venusmuscheln, Kalmare, Sardinen, Meerbrassen und Thunfische abschreitet und keine Ferienwohnung sondern ein Hotel gebucht hat, dann weiß man sofort, dass man einen schweren Fehler begangen hat. Und man nimmt sich noch angesichts des wenig appetitlich auf dem glitschigen Tresen präsentierten Merluzas (Seehecht) vor, irgendwann mit einem scharfen Messer zurückzukehren, um bei Poseidon Abbitte zu leisten. Wir waren also nicht als Reisegruppe, sondern als Küchenmannschaft unterwegs; das Team der unmäßigen Völlerei bestand aus EinkäuferInnen, KüchengehilfInnen, KöchInnen, AbwäscherInnen, MüllentsorgerInnen und Putzkräften. Niemand durfte sich erwarten, hier auf der faulen Haut liegen zu können; wer hier genießen wollte, der musste zupacken.

 

Kulinarische Rangordnung

Der Mercado von Cadiz ist das eigentliche Zentrum dieser andalusischen Stadt am Atlantik. Aber selbst der Mercado ist nochmals hierarchisch in konzentrischen Kreisen strukturiert. Ganz außen findet man sozusagen die Vor- und Nachspeisen: Fleisch, Würste, Käse, Brot ... Weiter innen kommt das Gemüse, das als Beilage jedem Fisch schon mehr schmeichelt. Ganz im Zentrum, sozusagen im Heiligtum des klassizistischen Gebäudes, das auch in Athen oder Rom eine gute Figur machen würde, liegt der Fischmarkt. Er ist der Star des Ensembles und neben der Kathedrale und Skyline ein Highlight der Stadt: ein vierreihiges Fischparadies, das seinesgleichen sucht. Staunen und Ehrfurcht überkommt einen und man vergisst schnell die traurigen Fischabteilungen der heimischen Supermärkte mit ihren Antiverwesungskonzepten, die die Lust auf Fisch sonst gründlich im Zaum halten.

 

Gaumen aufwärmen

Man muss ja nicht gleich mit einem Drachenkopf beginnen, war die Grundüberlegung am ersten Tag noch zu Hause. Also schwärmte das Küchenteam mit Geld, Fotoapparat und Taschen-Wörterbuch zum ersten „Fang“ aus. Doch weil letzteres allerhöchstens noch das Wort Fisch auf Spanisch zu übersetzen imstande war, musste man bei der Auswahl der ersten Prachtexemplare an Erinnerungen früheren Meerfischkonsums anknüpfen. Also landeten wohlvertraute Goldbrassen (Dorada) im Plastiksack. Die Gier schielte zu den großen Exemplaren, die Vernunft verneinte und griff glücklicherweise zu den mittelgroßen. Aber selbst diese waren für die mäßige Pfannengröße des ansonsten gut ausgestatteten Appartamentos „Plaza de la Luz“ noch überdimensioniert. Und so musste der Schwanz der Fische -  über den Pfannenrand hängend - trotz Bratens frieren. Der Rest aber war so perfekt, wie es sich jeder Gaumen nur erträumen konnte.

 

Lohnender Übermut

Das erste Erfolgserlebnis spornte an, steigerte den Mut und endete geradezu in einem Kaufrausch, weil man sich Tags darauf gleich zur Zubereitung einer ganzen Fischplatte entschloss. Die Tandler im Mercado staunten nicht schlecht, als sich drei nicht spanisch sprechende Touristinnen und ein kaum spanisch sprechender selbiger Sardinen (Sardina), Rotbarben (Salmonete), Seezünglein (Lenguado), Tintenfische (Kalmar), Chocos-Ringe und auch noch Kaisergranate (Cigala) einpacken ließen. Lediglich ein Fischverkäufer reagierte legitimerweise ungehalten, als man lediglich 4 Sardellen (Anchoas) ordern wollte: „Entweder ihr nehmt eine halbes Kilo oder es gibt gar nichts“. Zurück im Appartment machte uns nicht nur das Bratgeschirr sondern obendrein auch noch die bescheidene Anzahl an Ceranfeldern einen Strich durch die Rechnung. Aus einer schönen großen Fischplatte wurde eine Serie kleiner Fischteller. Doch keine Gegebenheit ohne Erkenntnis, denn der Küchenmannschaft, die sich selbst bekochte, wurde einmal mehr bewusst, wie unterschiedlich jeder Fisch schmeckt, wie sehr sein je eigener Charakter sich neben dem Aussehen am Gaumen manifestiert.

 

Nur ja nichts Bekanntes

Nun wurde es aber wirklich exotisch. Haben Sie schon einmal etwas von Huovos de Maruca (Eier des Maruca) gehört oder lag schon einmal ein Cazon (Hundshai) auf ihrem Teller?  Oder haben Sie es jemals gewagt, eine Moräne zu kosten? Hand aufs Herz, was für TouristInnen, deren Hausmeer die Adria ist, ungewöhnlich sein mag, ist in Cadiz ganz normal und so landeten trotz des Vorbehaltes einzelner Mitglieder der Küchenmannschaft diese Exoten in der Einkaufstasche. Die Moräne erforderte wegen ihrer schier undurchdringlichen Haut wahre Zauberkünste beim Zerkleinern und aus Angst, dass die Zähne ihrer ebenfalls nicht Herr werden könnten, wurde sie solange gebraten, bis sie zu Fischgrammeln reduziert war; leider war damit die Erfahrung des wahren Geschmacks einer Moräne auch nicht mehr zu machen. Mehr überzeugte der Hundshai auf dem Teller, für den ein katalanisches Aalrezept (Anguila) abgewandelt wurde. Hier thront der mit beinahe weihnachtlichen Gewürzen gedünstete Fisch auf weißen Bohnen. Die Huevos de Maruca wurden verschont, sie mussten anderntags dran glauben.

 

Eine Fischvergiftung - nicht in Cadiz

Dieses Wagnis musste eingegangen werden, koste es was es wolle. Der Geburtstag eines Mannschaftmitgliedes war ein mehr als hinreichender Anlass, sich auf das Risiko einer Magenverstimmung einzulassen. Das Geschenk war ein Frühstück auf Japanart mit frischem, rohem Fisch. Der Cava aus Katalonien – am Vortag eingekauft und gut gekühlt – stand schon bereit. Während das Geburtstagskind noch schlief, kümmerten sich einige um ein ansehnliches Frühstücksgedeck mit allem Pipapo: Pata Negra (Jamon Iberico), Salchichos, Schafs- und Ziegenkäse, quasi direkt vom Bauern, allerlei frisches Gemüse, Olivenmayo, knuspriges Brot und und und. Der andere Teil musste im Mercado nicht lange nach frisch geangeltem Seelachs, Thunfisch und Schwertfisch suchen. Das wertvolle Gut wurde so rasch wie möglich nach Hause gebracht, wie ein Beef Tatar feinst geschnitten und lediglich etwas gesalzen; mehr brauchte es nicht, um im siebten Fischhimmel zu landen. Doch der Schwertfisch (Pez Espada), er stellte alles in den Schatten.

 

Fernöstliches Panoptikum

Im Fischparadies gibt es als Vorspeise, Hauptspeise und Nachspeise Fisch. Doch nachdem wir uns auch im Urlaub nur auf Erden befinden, haben wir noch nicht das Know How für den süßen Fisch, also beschränkten wir uns auf die pikanten Gänge. Und nachdem es nichts gibt, was nicht wertvoll wäre, ist selbst dort bei Bedarf „Restelverwertung“ angesagt. So gab es die Überbleibsel des gestrigen Atun, Pez Espada und Salmon kreativ mariniert und kurz aber heftig gebraten als mundende Entrada (Vorspeise), während good old Nippon mit einem der beliebtesten Rezepte vom Land der untergehenden Sonne lockte, nämlich der Meerbrasse auf Reis (Tai-Meshi) mit viel frischem Ingwer, die wir allerdings – um uns nicht zu wiederholen – mit dem zwar hässlichen aber zur Freude der ganzen Küchenmannschaft durchaus köstlichen Merluza zubereiteten. Es ist interessant zu beobachten, dass seine etwas unansehnliche Fratze in Cadiz offenbar ein kulinarischer Geheimtipp zu sein scheint. Denn nicht selten beobachtet man unerschrockene KundInnen wie sie sich den Fischschädel im Mercado mit allerlei fachkundigen Schnitten und Hackbewegungen zerkleinern, kunstvoll zusammenfalten und einpacken lassen. Was damit geschieht, blieb uns leider trotzt aller Neugier verborgen - noch ein Grund, als gemeiner Mitteleuropäer ohne Meerzugang um des Rätsels Lösung willen bald wieder nach Cadiz zurückzukehren.

 

Faulenzen ohne Hungern

Waren es nun zwei Ruhetage oder nur einer im Allerheiligsten des Mercado in Cadiz? Egal, das Mitglied, das an einem dieser Tage für den Einkauf abgestellt war,  kehrte jedenfalls ohne „fetten Fang“ nach Hause zurück. Statt Küchendienst war also Restaurantsuche angesagt. Entscheidungsstark entschied man sich für das Juan Villar am Beginn der Passage hin zum Castillo de San Sebastian. Dass das Restaurant, das auch einen Flamenco Club (Peña) beherbergt, über eine passable Küche verfügt, zeigte sich unter anderem am Choco al horno (Sepia vom Grill), der dort – das muss man neidlos anerkennen - besser mundete als die Version, die wir am letzten Tag unserer kulinarischen Reise im „Placa de la Luz“ zubereiteten. Wir sind eine nimmersatte Küchenmannschaft und deshalb knurrte uns abends bereits wieder der Magen. Für diesen Notfall waren wir dank der „Huevos de Maruca“, die wir bei einem exilierten Händler am Rande des Mercados erstanden haben, gut gerüstet. Trockenfrüchte isst man zu dieser Fischei-Spezialität aus Cadiz, gab das Internet altklug wie immer Auskunft. In Ermangelung von Dörrobst entschieden wir uns für frische Acerolakirschen. Wir hatten die Frucht, die das karibische Klima liebt, einige Tage zuvor in der Obstabteilung des Mercado gekostet und uns ein kleines Säckchen davon einpacken lassen. Und siehe da, ob ihrer überbordenden Süße passte sie ausgezeichnet zu dem geräucherten „Gelege“ des uns unbekannten Meeresgetiers, das sich Maruca nennt.

 

Ein Bisschen geht immer noch

Die letzte Chance nochmals tief ins Repertoire der Meeresfauna zu langen endete mit einem kleinen kulinarischen Showdown und in großer aber lohnender Erschöpfung. Denn ein Teil der  Küchenmannschaft zeigte hinsichtlich Experimentierfreude bereits Ermüdungser-scheinungen und wollte sich mit banalen Meeresfrüchten begnügen. Es wurde ein Kompromiss geschlossen und der sah folgendermaßen aus: die Entrada bestand aus Sardinen in Ingwer-Essig-Sud, einem wahren Meisterwerk japanischer Kochkunst, das unsere uneingeschränkte Zustimmung erlangte. Der Choco, wenngleich nach seiner Zubereitung appetitlich anzusehen, hatte uns – wie schon zu lesen war - im Juan Villar stärker beeindruckt, während sich das Explosionspotential der Kalamari bei ihrer Zubereitung als beachtliches Risiko für den Koch und Herumstehende herauskristallisierte. Zahlt es sich wirklich aus, wegen gebratener Kalamari sich solchen Gefahren auszusetzen? Es folgten frische Fischeier, die den Huevos de Maruca verblüffend ähnlich sahen. Wir bereiteten sie nach Art hartgekochter Hühner-Eier zu und lagen damit nicht ganz falsch. An diesem Punkt brach ein Teil der Küchenmannschaft wegen übermäßigen Völlegefühls weg und so musste der Koch, der im Übrigen um nichts weniger satt und müde war, sich auch noch der Chocos-Sticks erbarmen. Wegwerfen wäre ohnehin niemals in Frage gekommen und den Iberia-Airbus konnten wir auch unmöglich verstinken. In einem letzten Aufbäumen der Kreativität kamen also auch sie noch in die Pfanne. Zärtlich in elegant gewürzter Tomaten Paprika-Sauce geköchelt, zerrannen sie dann förmlich auf der Zunge. Wow! Hier zeigte sich, dass die Gier manchmal auch positive Seiten zeitigen kann.

 

Die Küchenmannschaft empfiehlt

Und so hatten wir in 10 Tagen so viel Meeresgetier verzehrt wie in den letzten 10 Jahren zusammen nicht und das ist dann doch so unethisch nicht. Unsere Gaumen wussten auch warum, denn wie sagte ein bretonischer Fischer in Erwin Wagenhofers Dokumentarfilm „We feed the world“ so schön über den Meer-Fisch, den die einschlägigen Handelsketten daheim uns aufzutischen versuchen: „Dieser Fisch ist nicht zum Essen, er ist nur zum Verkaufen gedacht“. Deshalb gönnen Sie sich einen Urlaub in Cadiz oder sonst wo an einer fischreichen Küste und essen Sie zuhause lieber eine frisch gefangene heimische Forelle. que aproveche!