Am Kaukasus machen sich die Kühe breit



Die Kuh mag in Indien heilig sein. In Georgien aber ist sie eine Diva. Und rettet die Ehre einer Spezies, die hierzulande in Verruf geraten ist.
2016/17
 

Wie man es auch dreht und wendet. Keine andere Tierfamilie schaut so traurig drein wie die der Rinder. Ob es vielleicht an den vielen Mägen liegt? Wer weiß es schon. Aber Hand aufs Herz: Kann es glücklich machen, wenn das Fressen ständig wieder hochkommt und wieder gekaut werden muss, ehe es erneut geschluckt wird? Ein Leben lang. Ohne Aussicht auf Besserung.

„Die Kühe stehen mit hängenden Schädeln vor leeren Trögen“, schrieb Andrzej Stasiuk, der wunderbare polnische Essayist und Reiseschriftsteller des slawischen Ostens einmal. Und versinnbildlichte damit eine gewisse Tristesse im Landstrich zwischen Karpaten und Balkan.

Etwas weiter im Osten, in Georgien, geht es fröhlicher zu. Zwar entkommt auch die georgische Kuh nicht der öden Physiognomie ihrer Art. Aber gleich wie die Menschen am Kaukasus verteidigt sie ihre Würde und setzt sich mächtig in Szene. Man kann auch sagen, sie richtet es sich. Wenn schon stumpfsinnig wieder- und dauerkäuen, dann wenigstens am besten Platz in der Sonne und im Zentrum der Aufmerksamkeit. Und möglichst so, dass sie die Menschen damit maximal stört.

Und so macht sich die georgische Kuh auf den Straßen breit, was das Zeug hält. Im ganzen Land. Ob Forstwege, Gemeindestraßen, Landes- oder Bundesstraßen – die Kuh war zuerst da und nimmt beim Dahintrotten zumindest einen Fahrstreifen in Anspruch. Oder sie liegt mitten auf dem Asphalt – allein oder im Rudel. Fällt Schatten ein, rückt sie weiter. Besonders liebt sie Brücken. Der Verkehr, den sie stört, stört sie nicht. Hupen – geschenkt. Die georgische Kuh ist im wahrsten Sinne des Wortes auto-immun. Und so sind die Lenker von Autos, Bussen und LKW gezwungen, sich an die kaukasische Animalkultur anzupassen und auszuweichen. Mehr noch – angesichts einer trottenden Kuh im Schritttempo zu fahren, weil diese die Angewohnheit hat, unvermittelt in jedem beliebigen Moment die Straße zu queren, ohne auf die Fahrzeuge zu achten.

Die Kuh mag in Indien heilig sein. In Georgien ist sie eine Diva. Berichte darüber, dass sie jemals Menschen angefallen sein soll, wie das hierzulande neulich zu geschehen scheint, weil Wanderer vermehrt in Begleitung ihrer Hunde den Wiederkäuern in die Quere kommen, gibt es aus Georgien nicht. Dort begegnet man ihr überall auf Schritt und Tritt, sind doch die Wiesen nicht abgezäunt. Sie grast, wo sie will. Und sie geht und liegt wo sie will.

Man begleite die Kühe, erzählen Bauern vor Ort, nur beim ersten Mal vom Hof weg: Ab dann seien sie selbstständig und kämen jeden Abend von woher auch immer wieder heim. Sofern sie auf der Straße nicht einschlafen. Andere Länder, andere Sitten.