Die perfekte Runde für Spießbürger*

Bei einer Reise durch Zentralserbien macht die Neugier nicht bereits bei Frischgegrilltem und "Heckenklescher" halt.
08. 2007
 
An einer der Ausfallsstraßen Belgrads halten wir hungrig beim ersten Spanferkelgrill. Das einfache, nur mit dem Spärlichsten ausgestattete Lokal im Osten der Hauptstadt betreten wir skeptisch, doch es stellt sich als überaus stimmiger Rahmen für das archaische Mal heraus. Dass es hauptsächlich von Einheimischen bevölkert wird, beruhigt den gelernten Touristen. Wir drücken unsere Hochachtung vor den Künsten des Spanmeisters aus Mangel an Serbischkenntnissen mit der Einladung zum "Rakija od Sljiva" aus.

Mit dem Nachtzug waren wir angereist, die Formalitäten für den Mietwagen sind schnell erledigt. Bereits jetzt begegnet uns in der zentralserbischen Provinz wieder das Donauwasser aus der Heimat. Der einzige deutschsprachige Serbien-Reiseführer übt sich zumindest in diesem Belang in gelehrsamer Unwissenheit. Die Donau ist nicht - wie darin zu lesen - in Serbien besonders schmutzig. Das Gegenteil ist der Fall: Durch die Nato-Bombardements wurde die Industrie am Strom gewaltsam stillgelegt, erzählt uns ein Belgrader Journalist. Das Wasser und mit ihm Flora und Fauna konnten sich erholen, längst tummeln sich die Urlaubshungrigen wieder arglos in den Fluten der Seitenarme.

An manchen Stellen breit wie ein See, sodass das Treiben am rumänischen Ufer, an das der Banat grenzt, nicht zu erkennen ist, verengt sich der Strom plötzlich wieder in Richtung Osten. Felswände türmen sich auf beiden Uferseiten immer höher auf, bis man schließlich den einstigen Schrecken der Donauschifffahrt - das Eiserne Tor - erreicht; eine Engstelle, an der der Strom plötzlich zu einem Fluss kaum breiter als die Drau wird, dafür aber mächtig tief. Bis zu 80 Meter gräbt er sich hier ein, um die enormen Wassermassen durch die Engstelle schleusen zu können.

Mit vereinten Donaukräften

Bei Kladovo haben die spektakulären Ansichten der Donau rund um das Eiserne Tor schließlich ihr Ende, die Natur wird von Industrie abgelöst. Beim großen Donaukraftwerk - in gemeinsamer freundschaftlicher Anstrengung von Serben und Rumänen errichtet, zweigen wir ab und folgen den Spuren des serbischen Weinbaus. Im "Bel-Guest", dem Magazin, das uns der Autovermieter vor unserem Aufbruch dankenswerterweise in die Hand gedrückt hat, lesen wir von einem Ort, an dem die Weinkultur noch gepflegt werden soll.

Als wir in Rajacke Pimnice, kurz vor der Abenddämmerung, ankommen, fühlen wir uns in eine andere Zeit versetzt. Alte Steinhäuschen, kaum zwei Stock hoch mit Tondächern, auf denen sich schon Moos heimisch gemacht hat, und ein Gewirr an Gässchen und Steigen begrüßen uns. Doch wir befinden uns nicht in einem echten Dorf - es wäre, wenn es als solches genützt würde, vermutlich das schönste in Serbien -, nein, wir schlendern durch eine Anhäufung von Kellerstöckchen. Ein einsamer Winzer geht zur Stunde unserer Ankunft noch dem Kelterhandwerk nach. Wir kosten seinen Tropfen - ein "Heckenklescher" wie sich herausstellen sollte, aber mit Hingabe und Gastfreundschaft offeriert. Warum er den Wein in PET-Flaschen abfülle, fragen wir ihn. Das sei fortschrittlicher, weil Glasflaschen so leicht brechen. Schließlich kommt noch der Dorfchronist von Rajac vorbei. Er spricht gut deutsch, weil er einige Zeit am Rhein gelebt hat. Wie die meisten Menschen, denen wir begegnen, ist auch er mit einem Übermaß an Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft ausgestattet. Er eskortiert uns mit seinem in die Jahre gekommenen Golf bis zur Stadt Čačak, die für uns das Bett für die Nacht zur Verfügung stellen sollte. Wer nach Serbien fährt, sollte aber zu allererst ein Faible für Klöster haben. Die serbische Orthodoxie hat ein dichtes Netz davon über das ganze Land gespannt. Oft erinnern die Anlagen eher an Burgen als an Zentren der Kontemplation. Wie aus dem Nichts tauchen sie manchmal auf, so auch jenes, das Manasija genannt wird und nahe der Stadt Despotovac in einem kleinen Seitental der Morava liegt.

Eine weitere halbe Stunde Fahrzeit bringt uns dann zum berühmtesten Kloster des serbischen Erzgebirges: Ravanica. Dessen Klosterkirche ist besonders prachtvoll ausgestattet, auch wenn von den heiligen Mauern teilweise nur noch Steinhaufen übrig sind. Ganz so schlimm ist es um das einst luxuriöse inzwischen aber ziemlich heruntergekommene Hotel Kragujevac, ein ehemaliges Haus der kommunistischen Volkswohlfahrt, dennoch nicht bestellt. Der wunderbare serbische Tomatensalat, aber vor allem die Ražnjići, die dort serviert werden, können besser jedenfalls nie gewesen sein.

Konserven-Guča fürs Auto

Nach dieser Nacht in Kragujevac, dem einstigen Zentrum der serbischen Autoindustrie, besser bekannt unter dem Firmennamen "Zastava", zieht es uns nach Guča, dem Ort mit dem wohl berühmtesten Blasmusikfestival der Welt. Dort angekommen suchen wir in Ermangelung des eigentlichen Festivals nach Musik aus der Konserve und werden auch fündig - keine allzu schwere Aufgabe in einer Stadt mit nur 5.000 Einwohnern.

Ob sich die Geschäftsinhaberin darüber gefreut hat, dass wir das Geschäft praktisch leergekauft haben oder in uns nur ein Beispiel präpotenter Westler gesehen hat - wir werden's nie erfahren. Die Auswahl hat sich jedenfalls als die richtige musikalische Ausstattung herausgestellt für denWegin einen der schönsten Landstriche: ins Hügelland im Westen Zentralserbiens unweit der bosnischen Grenze. Hier, wo sich die landschaftliche Pracht hinter jeder Kuppe immer und immer wieder von Neuem zeigt, fragt man sich, warum die Tourismuswirtschaft noch schläft.

Dieser Teil Serbiens hat mit Valjevo überdies eine der schönsten Kleinstädte zu bieten. Valjevo ist vielleicht auch der einzige Ort, an den wir ruhigen Gewissens an westliche Standards gewöhnte Touristen schicken würden. Immer und immer wieder ist das dort an einer mittelalterliche Brücke gelegene Hotel Grand in Ermangelung von ernsthafter Konkurrenz zum "serbischen Hotel des Jahres" gewählt worden, mit Restaurants und Bars ist die rund 90 Kilometer westlich von Belgrad gelegene Stadt bestens ausgestattet.

Wir jedenfalls machen uns auch am vorletzten Tag unserer Reise auf, um einen jener Spanferkelgriller vor den Toren Belgrads aufzusuchen, der unsere Rundtour eingeleitet hat. Und nochmals werden wir beschämt, als uns der Wirt - weil ausverkauft - spätabends zum Abschied die höchste kulinarische Höflichkeit erweist und unbestellt den Sauschädel serviert.



* Dieser Artikel ist in der Standard/Printausgabe/22./23.8.2008 erschienen