"Wunder" der Kommunikation



Verstehen ohne gemeinsame Sprache ist möglich. In Maramures gibt es ein Beispiel dafür.
8. 2009
 

Im Nordorsten Rumäniens liegt das ländlich geprägte Maramures. Dort findet man Wolkenkratzer wie man sie auch im italienischen San Gimignano als Symbol für die Handelsmacht der Kaufleute, im georgischen Swanetien als Wehrtürme gegen kriegslüsterne Kaukasusvölker oder in Manhatten als architektonische Manifestationen der Moderne findet. Während letztere als säkulare Monumente das Religiöse für obsolet oder mindestens für zweitrangig erklären, versuchen die Wolkenkratzer von Maramures, die nichts anderes als ungewöhnlich hohe Kirchtürme aus Holz sind, genau das Gegenteil, nämlich sich Gott so weit wie möglich entgegenzustrecken.

 

Die Türme der Holzkirchen von Maramures ragen schlank wie Pfeile weit in den Himmel. Rundherum liegen die Gräber der Gläubigen - vor Ihren „Augen“, mehr noch vielleicht vor denen der Hinterbliebenen steht der permanente Hinweis wohin die Reise nach der Auferstehung gehen wird. Kein Toter in Maramures ist orientierungslos, niemand kann sich verlaufen, keiner falsch abbiegen. Dafür sorgen die sakralen Skyscraper der nordöstlichen Provinz Rumäniens. Der Weg zur Hölle ist nicht beschildert.

 

Die alte Kirche im Dorf Rogoz – übrigens UNESCO-Weltkulturerbe – folgt dieser möglichen theologischen Deutung bewusst oder unbewusst und ist als Totenkapelle konzipiert. Ioan Chirila, der die orthodoxe Gemeinde dort als Priester betreut, sieht uns voller Fragen dastehen, kommt spontan auf uns zu und beginnt unaufgefordert die Details des Bauwerks zu erklären. Er beweist dabei eindrucksvoll, dass es kein Hindernis für ein grundlegendes Verständnis sein muss, wenn keine Sprache gefunden werden kann, die alle Dialogführenden sprechen.

 

Die Kirche diene der Aufbahrung der Toten, erklärt Chirila, in ihr wird das Requiem gefeiert. Die Verstorbenen liegen rundherum begraben, das Totenmal wird an der Kirchenrückseite eingenommen. Dafür wurde sie mit einem schlanken, das ganze Kirchenschiff flankierenden, massiven Holztisch und zwei ebenso langen wie wuchtigen Hölzbänken ausgestattet. Damit keine Unordnung beim Leichenschmaus entsteht, schnitzte man die Namen der platzberechtigten Familien* kurzerhand in die äußere Kirchenwand.

 

Im Inneren der Kirche erstrahlt eine Ikonengalerie, in der alle wichtigen biblischen Ereignisse samt der in der Folge entstandenen Heiligenlegenden abgebildet sind. Anhaltspunkte für das Verständnis sind die bekannten biblischen Namen der Apostel und anderer Gestalten der heiligen Schrift. Ioan Chirila zeigt uns auch seine alte Bibel, kein Faksimile sondern ein Original, streng darauf verweisend, wie wertvoll sie ist und wie vorsichtig man damit umgehen muss, freilich um dann nicht gerade zimperlich im Buch zu blättern. Aber wer sollte ihm das verübeln, schließlich ist es doch seine Bibel und ein sakraler Gebrauchsgegenstand, kein Museumsobjekt, der Inhalt heilig nicht aber das Medium.

 

Chirila kommt mit seinem Gemisch aus Rumänisch und Französisch, das wir nicht wirklich verstehen, während wir ihn doch sehr gut verstehen auch auf das Verhältnis der christlichen Kirchen, auf die Ökumene zu sprechen. Den Wert einer Konfession misst er vor allem an der Mitgliederzahl, und deshalb ist er trotz seiner Zugehörigkeit zur Orthodoxie voll wertschätzender Anerkennung für KatholikInnen und ProtestantInnen, während er z. B. die kleine Gruppe der Zeugen Jehovas nur als Fußnote der Geschichte des Christentums abtut.

 

Dem Priester ist wohl bewußt, dass seine Wörter, Sätze und Zeichnungen für uns oft wenig verständlich sein müssen und manchmal den Sinn eher verschleiern als offenlegen. Trotzdem ist er so offen und weiht uns auch einwenig in sein Privatleben ein. Sein ganzer Stolz seien seine Kinder, die in Rumänien aber auch im Ausland studieren. Für uns Katholiken mutet es fast einwenig bizarr an: da steht jemand im Priestertalar da, der von seinen Kindern spricht, aber nach einer kurzen Schrecksekunde denken wir, warum denn nicht, was um Himmels willen sollte dagegensprechen.

 

Gipfel und quasi Essenz unseres Dialoges, mit Sprachen, die wir nicht gemeinsam sprechen, war schließlich das Bekenntnis zur Liebe zur Musik. Unser gut eineinhalbstündiger Dialog mit Händen und Füßen, mit Vermutungen und Ahnungen über den Sinn des Gesprochenen und ohne Sicherheit, auch wirklich richtig verstanden zu haben, musste einfach zur Universalsprache schlechthin führen: zur Musik. Und als Chirila die Namen von Verdi, Puccini und Rossini in den Mund nimmt ist uns allen plötzlich alles sonnenklar. **


* Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass der an der hölzernen Kirchwand vermerkte Name vom Platzinhaber bezahlt werden muss.


** Eine Reise zu einem touristischen Ziel bleibt in der Regel oberflächlich. Und selbst wenn man wirklich ehrlich und aufrichtig versucht, tiefer einzutauchen in ein Land und mit den Menschen in Kontakt zu treten hindert einen doch meist der Zeitmangel daran, dass dies auch tatsächlich gelingen kann, außer der Zufall, das Glück oder die Vorsehung führt zu einer Begegnung mit Menschen eines Schlages von Ioan Chirila.