... Man wies uns an, um das Gebäude herum in einen überdachten Innenhof zur Küche zu gehen. Wir waren nur noch zivil gekleidete Pilger, Laien aus verschiedensten orthodoxen Nationen, etwa noch fünfzig Personen. Dort überraschten sie uns mit einem rechteckigen Alufolienbehälter. Darin nahmen wir unser Essen entgegen und verließen die Küche durch einen Hinterausgang in den Innenhof, wo wir auf kleinen Steinmauern sitzend, unser köstliches Essen einnahmen. Es war gedünsteter Fisch in wunderbar schmeckender verdickter Zitronensauce mit gekochten Okras, Schafskäse und frittierten Kartoffeln. Dazu gab es süßen Rotwein in Kunststoffbechern von dem wir mehrmals nachholen konnten und als Abschluss eine industriell hergestellte Schokoladen-Süßspeise in dunkelblauer Alufolie. Es herrschte nun gute Stimmung unter den Klostergästen. Aus den geöffneten Apsisfenstern der Trapeza hörten wir den Abt nach der Mahlzeit noch zur Feier des Tages eine lange Ansprache halten. Wir, als nicht sprachkundige Gäste waren nun froh, heraußen sitzen zu können, haben Rotwein nachgeschenkt und die hereinbrechende klare Vollmondnacht genossen. Die Sonne sank mit goldenen Strahlen im Westen hinter den Bergrücken der Südspitze der Halbinsel und der Vollmond war mit klar strahlender weißer Scheibe am dunkelblauen Himmel zu sehen.

Der Küchentrakt der grossen Lavra hat einen riesigen, breiten, offenen Kamin in der Mitte des Gebäudes und einen um ihn herumliegenden überdachten offenen Außenbereich. Dieser ist teilweise gepflastert, teilweise hat er einen gestampften Erdboden, auf dem offene Holzkohlenfeuer entzündet werden. Darüber, in riesigen flachen Blechkochtöpfen, etwa zwei Meter im Durchmesser garen die Mönche große Mengen an Speisen. In unmittelbarer Nähe stand ein kleines Traktorfahrzeug mit Anhänger. Auf diesen wurde der gesamte Küchenabfall des Tages hineingeworfen. Unsere Alufolienbehälter, Kunststoffbecher, Glas, Speisereste, Verpackungen ... also einfache Mülltrennung indem man sich vom Müll trennt, ihn verbrennt und den Rest einfach in eine Grube kippt. Die riesigen Blechkochtöpfe und Blechwannen lehnten abgewaschen zum trocknen an den Hauswänden der Küche im Freien.


Gemeinsam Schlafen

Am Fest des Heiligen Athanasios Athonites waren außergewöhnlich viele Gäste in der Lavra. Sie kamen aus den nahen südosteuropäischen Ländern der Orthodoxie und aus Griechenland selbst.  Wir teilten ein Quartier in einem großen, alten Speichergebäude, in dem auf zwei durchgehenden Stockwerken jeweils etwa 80 Feldbetten aufgestellt waren. Jede Matratze war weiß überzogen und hatte einen kleinen Polster und ein zusätzliches Leintuch dabei. Das waren die zu diesem Fest ergänzend bereit gestellten Schlafmöglichkeiten in verschiedenen Gebäuden des Klosters. Allerdings gab es keine zusätzlichen Sanitäranlagen, und damit teilten sich die Bewohner des zusätzlichen Schlaflagers drei Toiletten und fünf Waschgelegenheiten. Wir waren ernüchtert und sahen ein Problem auf uns zukommen, das dann doch keines war. Der Grund: Die meisten orthodoxen Gäste besuchten wahrscheinlich den um vier Uhr morgens beginnenden Nachtgottesdienst. Als wir wegen einer Mitfahrgelegenheit um halb sieben ohne Frühstück aufbrachen war dieser noch voll im Gange. Deshalb standen alle Sanitäranlagen ohne Massenandrang zu unserer Verfügung. Immer wieder konnte ich als Gast in verschiedenen Klöstern diesen veränderten Schlaf-Wach-Intervall wahrnehmen. Der Nachtgottesdienst beginnt meist zwischen drei und vier Uhr am Morgen, also nachts, und endet gegen acht Uhr am Vormittag. Danach nimmt man eine Mahlzeit ein und begibt sich dann etwas zur Ruhe.


Wege

Nach diesem beeindruckenden Aufenthalt in der Megisti Lavra teilte sich unsere Gruppe. Strahlend erhob sich die Sonne über dem östlichen Meer. In dem nach allen Seiten offenen, überdachten Warteraum vor dem Tor des Klosters schliefen einige Gäste mit Schlafsäcken im Freien. Wieder die goldgelbe Sonne, das milde Licht des Morgens, der sanfte Wind von der Meeresseite und erste Gäste die aufbrachen.

Zu zweit hatten wir vor, die wunderschöne Strecke um das Südende der Halbinsel zu Fuß zu wandern. Nur die wenigsten Pilger sind zu Fuß unterwegs. Es existieren beschilderte Wanderwege, die oft brutal von neuen Schotterstraßen durchschnitten und unkenntlich gemacht werden. Es gibt ein Labyrinth an neuen, nicht asphaltierten, einspurigen Fahrstraßen für Geländewagen, Baufahrzeuge und Taxibusse. Zwischen dem Hafen Dafni und der Hauptstadt Karies sind einige Straßen neuerdings betoniert. Sehr interessant, weil teilweise als Fußwanderwege beschildert, finde ich die alten Mauleselpfade, sorgfältig aus runden Schottersteinen gepflastert, mit steinernen Rundbogenbrücken , Bruchsteinmauern und mit den typischen Stiegenabsätzen in Schrittlänge eines Maultieres ausgestattet. Die Beschilderungen in englischer Sprache verschwinden immer mehr, dagegen werden Wegweiser in russischer und rumänischer Aufschrift neben dem dominanten Griechisch immer häufiger. Die alten Eselspfade verfallen jedoch immer mehr, die sehr verschlungenen alten Streckenführungen werden abgekürzt, Steinbrücken stürzen ein, aber immer noch ist die außergewöhnlich gute Qualität dieser alten Wege wahrnehmbar. Unser Wanderweg führte uns von der großen Lavra hoch über der Meeresküste in westliche Richtung, vorbei an der Einsiedlerhöhle des Gründervaters Athanasios, in einer fast senkrechten Felswand über dem Meer, nahe dem rumänischen Klosters des Täufers Johannes, genannt „Skite Timiou Prodromou“ in Richtung einer Gegend mit vielen Kellien, also Einsiedlerhöhlen und Zellen die, fast unzugänglich, immer noch bewohnt werden. Immer wieder weisen kleine Abzweigungen auf diese Behausungen hin. Agios Petros und Agios Nilos und die Skiti Agios Triados, auch „Kafsokalyvia“ genannt. Diese sogenannten „Brandhütten“ weisen im Namen darauf hin, dass die strengen Asketen und Hesychasten nach einiger Zeit ihre Unterkünfte dem Feuer übergaben, ehe sie weiterzogen. Die Strecke ist von unglaublichem landschaftlichem Reiz. Bei diesem Weg Richtung Südwesten finden sich keine Autostraßen mehr, es geht langsam bergauf zur Einstiegstelle auf den Athosgipfel, der immer zur rechten Hand Richtung Nordosten liegt, niemals einen Schatten wirft und zur linken Hand immer verschiedene Ausblicke auf das Meer bietet. Dann eine Gegend namens Kerasia, eine Trinkwasserquelle am Weg abwärts zur einer Skite namens Profiti Elias über dem südlichsten Punkt der Halbinsel.

Nun erst wendet sich der Wanderweg wieder in nördlicher Richtung hin zu der grossen Eremitensiedlung „Skiti Ayias Annis“ die man durch einen sehr steilen Abstieg erreicht. Entlang dieser Wege findet der erstaunte Mitteleuropäer immer wieder ein oft wirres Geflecht aus Druckrohrleitungen für Trinkwasser aus schwarzem flexiblem Kunststoff, in denen das kostbare Naß hörbar plätschert und  in die tiefer gelegenen Einsiedeleien transportiert wird. Auch verzinkte Eisenrohre und Stromkabel findet man offen am Waldboden liegend, teilweise sichtbar nach Beschädigungen ausgebessert, und sorglos offen neben den begehbaren Wegen im Unterholz. Neuerdings glaube ich auch Kabel für Internetverbindungen entdeckt zu haben. Der Waldboden kann an manchen Stellen undurchdringlich sein. Es gibt mediterrane Hartlaubgewächse mit harten Stacheln, die ein nicht zu durchdringendes Dickicht ergeben. Vereinzelt findet man hohe, alte Kastanienbäume, Eichen, Ahorn und Buchen, aber mehrheitlich doch Buschwerk, niedrigen Baumbestand auf sehr felsigem, trockenen Boden, der dem Wind und der Hitze des Südens ausgesetzt ist.

Langsam kommen wir wieder in dichter besiedelte Gegenden zwischen den Skiten Ayias Annis und Nea Skiti. Vor dem Blick des Wanderers breitet sich nun ein Panorama mit unüberschaubaren Felsennestern, Einsiedeleien, kleinen Kirchen, Felsabbrüchen, verschlungenen unbefahrbaren Wegen und dem tiefblauen Meer im Hintergrund aus. Immer wieder kommen Lastenzüge aus Maultieren vorbei, die Zement, Baumaterialien und Gebrauchsgüter transportieren. Angeführt von meist albanischen Saisonarbeitern; dort und da hören wir Mischmaschinen und Geräusche von Baustellen. Auf den ersten Blick sehen die Siedlungen wie griechische Bergdörfer aus, bemerkt aber dann doch die kleinen Kapellen die jedem Gebäude angeschlossen sind.

Neubauten sind in nichts von dem alten Baubestand zu unterscheiden. Die traditionelle Baukultur wird robust und gediegen in neuem Material ausgeführt. Kastanienholz, Beton und Stein aus örtlichen Steinbrüchen, Bleidächer auf Kirchenkuppeln, Dächer aus Schieferplatten, Keramikböden, Steinpflaster, alles so wie seit Jahrhunderten. Neubauten sehen aus, als wären sie vor Jahrhunderten  schon gebaut worden. Ab und zu finden sich Solarpaneele auf manchem Dach.

Unsere Wanderstrecke endet im Kloster des Heiligen Paulus. Eine Anlage die zur Mitte des 19.Jhdts durch einen katastrophalen Brand verwüstet und am Beginn des 20.Jhdts neu errichtet wurde. Ich habe diesen Neubau vom Charakter einer Kaserne des 19.Jahrhunderts nicht besonders geschätzt. Das Refektorium ist interessanterweise im Stil der Nazarener mit Fresken ausgestattet, so als hätte ein Künstler versucht, Ikonen im Stil der europäischen Spätromantik zu imitieren. Der große Speisesaal wird von gusseisernen Säulen getragen, auf denen romantisch bemalte Stahlträger ruhen. Diese Trapeza ist riesig in den Ausmaßen, die Mönchsgemeinde wirkt etwas verloren, und wir nichtorthodoxen Gäste mussten weit abseits der Rechtgläubigen ihre Mahlzeit einnehmen.


Überraschungen

Bei meinen fünf Athos-Aufenthalten in einem Zeitraum von zehn Jahren war es so, dass wir nachmittags  nach einer Reise per Schiff, zu Fuß oder mit Taxibus in einem vorher kontaktierten Kloster ankamen, und dasselbe am Morgen des nächsten Tages wieder verließen. Ohne Voranmeldung, die meist schon Monate vor der Reise erfolgt, kann es zu Abweisungen kommen: Eine Überraschung war immer, wie die Unterbringung sein wird, wie die Schlafplätze aussehen, wie die Sanitäranlagen beschaffen sind, wie das Essen eingenommen werden kann, ob es eine Sonderbehandlung für Nicht-Orthodoxe bei der Liturgie und im Speisesaal bei den Essenszeiten geben wird. Es gibt Sanitäranlagen, bei denen ich auch nach langer verschwitzter Wanderung gerne auf Körperpflege verzichtet habe. Etwa bei scharf nach Urin riechenden Abtritten mit darin kombinierten Duschen, bestehend aus einem Schlauch mit kaltem Wasser. In der Regel sind keine Handtücher und kein Toilettenpapier vorhanden. Ein sauberes Sitz-WC mit Warmwasserhahn sind immer schöne Überraschungen, die man dankbar entgegennimmt. Ich fasse es als Übung in klösterlicher Bescheidenheit und Bedürfnislosigkeit auf. Auch das Essen bietet immer wieder Überraschungen. Meist vegetarische Kost, viel Olivenöl, Schafskäse, Gemüse aus Bohnen, Linsen, Gurken, Paprika ,viele verschiedenartig gewürzte Gemüsesuppen, oft schon erkaltet, Früchte wie Melonen, Steinobst, Birnen, Trauben, an Festtagen Fisch, als Überraschung ein köstlich marinierter Salat aus Fisolen und Bohnen. An irgendeine Sorte Fleisch erinnere ich mich nicht.


Beschäftigungen

Was, außer dem Warten erwartet den Pilger?

Ich habe auf jeder Athosreise einen Zeichenblock mit mir getragen. Im Rucksack ist Wäsche zum wechseln. Auf keinen Fall eine kurze Hose, am besten auch langärmelige Hemden, Unterwäsche für vier Tage, Waschzeug, Trinkwasser und Jause für kleine Mahlzeiten unterwegs.

Ich halte die Augen offen und höre die Stille. Es gibt fast keinen Maschinenlärm außer dem der Fährschiffe, seltenen Lastwägen und Baufahrzeuge.

Ich kann mich kaum satt sehen an den steinernen Gebäuden dieser Klosterburgen, den Felsformationen der Meeresküsten, an denen die meisten Klöster gebaut sind. Die Kombinationen verschiedenfarbiger Steine, Mörtel, verschiedenfarbiger Steinchen im Mörtelsand, Kastanienholz, sorgfältigen Mörtelfugen, kaum findet der detailverliebte Betrachter mehr an sorgfältig gebautem Mauerwerk anderswo. Seit der Jahrtausendwende gibt es am Berg Athos einen Bauboom aus Renovierungsarbeiten und Neubauten im alten Stil.

Ich sitze mit meinem Zeichenblättern und schwarzen Filzstiften vor diesen Mauern und Innenhöfen. Ich bin tief beeindruckt vom Licht und dem Blau des Meeres, von den alten hohen Zypressen, von ...



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