Der slowenische Olymp

Auf Bergen wohnen die Götter, heißt es. Auch der Nanos im istrischen Karst duftet nach Weihrauch.
10. 2020
 
Wenn das Hirn einmal seine Fährte beim Denken eingeschlagen hat, lässt es sich nur sehr schwer wieder davon abbringen. Das mag dort wie da problematisch sein. Handelt es sich aber beispielsweise um einen Berg oder die Sicht auf ihn, kann allemal als wahr gelten, was man eben für wahr hält. Und so begann auch meine Geschichte mit dem slowenischen Karst-Berg Nanos mit einer eigenwilligen Assoziation im Hirn, die mich bis nach Griechenland führte.

Das ging so: Zuerst einmal wurde das zweite „n“ im Namen weggelassen. Was blieb war „Naos“. Das aber bedeutet in der alten griechischen Sprache nichts anderes als „Tempel“. Vielleicht war es der köstliche Karstwein, aber mein Hirn verselbstständigte sich und verband „Naos“ mit „Olympos“, dem griechischen Olymp, jenem höchsten Berg Griechenlands, auf dem ja die Götter wohnen. Gar nicht so weit hergeholt, wie mir scheint: Denn schließlich hausen die Götter ja nicht nur auf dem Berg, sondern auch in den Tempeln.

 Mehr hat´s also nicht mehr gebraucht, und aus dem slowenischen Nanos, dem mächtigsten Berg des Karstgebietes, war in meinem Kopf der Olymp geworden. Und Hand auf´s Herz, wer einmal an ihm tief unten auf der Straße vorbeigefahren ist, kann leicht auf diese Assoziation kommen. Allein schon deshalb, weil er mit seinem 1313 Meter hohen Gipfel gar oft in Nebel gehüllt ist und daher für die Sterblichen geheimnisvoll wie sein griechisches Pendant wirkt. 

Wer ihn freilich an sonnenklaren Tagen erwandert, erhält ein Panorama, das über die Karstlandschaft bis nach Triest und Venedig reicht. Längst ist er zum Hausberg vieler Südwestslowenen für Sonntagswanderungen geworden. Langgezogen und breit wie er ist, verdaut er selbst einen größeren Zustrom von Menschen leicht und lässt diesen klein erscheinen. Eigentlich hält sich der Großteil der Wanderer nur auf seiner vorderen, südlicheren Seite auf. Auf ihr findet sich auch die kleine Kirche des Heiligen Hieronymus, deren Anfänge ins 14. Jahrhundert zurückreichen und an die der Überlieferung nach die Seeleute der Gegend früher jährlich fast 300 Liter Öl gespendet haben, damit das dortige Licht ihnen als Orientierung bei der Schifffahrt leuchte. Höher oben, am Gipfel dann zwei Sendetürme, die während des Kurzkrieges im Sommer 1991 von der jugoslawischen Luftwaffe bombardiert worden sind. 

Wer wie die meisten den Gipfel vom hoch angesiedelten Parkplatz aus besteigt und dieselbe Südstrecke wieder zurückgeht, verzichtet leider auf die ganze Breite und Vielfalt, die der Nanos bietet. Für sie freilich muss man sich gut und gern vier bis fünf Stunden Zeit und die Anstrengung auf sich nehmen. Über Alm- und leichte Hügelformationen führt der Rundweg auf der nördlichen Seite zwischenzeitlich in kleine Dörfer, Weideflächen und kühlende Waldstücke, die im Herbst knöcheltief mit Laub bedeckt sind. Im Westen dann überschneidet sich der Weg mit den herrlichen Wandertouren über der Kleinstadt Ajdovščina. Aber das ist eine andere Geschichte. 

Zurück zum Nanos: Was das Wort auf Slowenisch bedeutet, habe ich nicht weiter eruiert. Was aber die Assoziation mit dem griechischen Olymp betrifft, so kann ich die Ungläubigen nur daran erinnern, was der deutsche Schriftsteller Heinrich Böll in seinem „Irischen Tagebuch“ über seine Irlandwahrnehmung schreibt: „Es gibt dieses Irland: wer aber hinfährt und es nicht findet, hat keine Ersatzansprüche an den Autor“.